Josef Weinheber


(1892 - 1945)





An eine junge Tote

Du lebtest dieses Leben so wie wir.
Nun träumt vom nächsten schon
die Stirne dir.
Noch gestern gingst du zwischen
Rosenlaub.
Nun bist du unsrer armen
Liebe taub.
Du bücktest dich zu roten
Früchten hin.
Nun ist geerntet, holde
Dulderin.
Der bunte Vogel, dem du
gestern riefst,
ist fortgeflogen, während
du entschliefst.
Und dieser Garten nun, und
dies Geleucht
macht uns die gramgefurchte
Wange feucht.
Du aber schwebst in Schönheit
ohne End,
ein blasser Stern, am hohen
Firmament.

(Jan. 11, 1994)
(Oct. 25, 2001)


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Wanderlied

Über den Brunnengrund
starrt es zur Tiefe

Dass mich ein Mund, dein Mund
endlich doch riefe !

Dass doch die Mutter käm
mit deinen Zügen,
um mich wie ehedem
in Schlaf zu wiegen.

Mutter ist lange tot,
die Blumen ermatten.
Endlos ins Abendrot
wandern die Schatten.


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Bild, von einem Höheren gemalt

Dies ist mein Bild. Das bittre Fleisch beruht.
Im Leben ist nicht soviel Untergang.
Hier starb zuviel! O Vater, mach es gut!
Du kannst es nicht? Dies fürchtete ich lang!

Du bist ein Maler, wie ich keinen sah.
Du malst mir Hände, breit und viel zu groß.
Wenn ich dir klage, stehst du ehern da
und lässt im Hintergrund die Teufel los.

"Ich hab dich für die Ewigkeit gemalt."
Was für ein Wort - Wie feige und wie klein!
Der Bettler hat die ganze Schuld bezahlt.
Was soll es noch? Er will nicht "ewig" sein.

Mal mir ein zartes Kinderangesicht
und einen Garten und ein Haus darin
und eine sanfte Frau - Das kannst du nicht?
Ich fürchtete es lang: von Anbeginn ...


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Dunkler Erwecker

Dunkler Erwecker, im Heilen geübter
Engel, o still mich mit sanftem Gebot !
Lass mich gewahren den Schimmer von Rot
dir auf den Wangen, Geliebter !

Stille mir, Großer, das stürmische Warten !
Hehr ist dein Haupt unterm Abend erhellt.
Nimm von der Stirn mir die Klage der Welt !
Führ mich zurück in den Garten !

Lass es mich fühlen im Schweigen der Sendung !
Lass es mich ahnen im Donnergericht:
Jenseits vom Wirrsal, süßer Vollendung
schrecklicher Engel, dein Angesicht.


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Vorfrühling in Schönbrunn

Schwimmendes Frühlicht und Reif im Schatten.
Damals war Sommer, lange ist's her.
Kunstvolle Schnörkel auf stillen Rabatten,
nackte Erde, braun in dem matten
Grün der Parkette, und blumenleer.

Schwarz in dem strengen Schnitt der Alleen
knorplig verkrüppeltes Astgeschling.
- Ewig verklungenem Kinderflehen:
"Mutter, ich möcht die Giraffen sehen ..."
schwebte zur Seite ein Schmetterling.

Marmornes Fischweib, der Flut entwunden,
- golden huschten die Fische darin -
schützt mit den Armen den Blick der runden
Steinaugen, sinnlos und stolz gebunden
in die Gebärde seit Anbeginn.

Grotte des Meergotts. Heilige Rosse
spielen versteint auf geschwungenem Wall.
Muschel und Dreizack, Felsen und Flosse,
- blau stand der Himmel über dem Schlosse,
wunderbar blau wie nur dazumal.

Gelbe Pilaster vor bräunlichem Grunde.
Adelig schwingt sich die Treppe hinan.
Herren im Weißhaar gehn ihre Runde,
schmächtige Sonne, flüchtige Stunde,
zart und zerbrechlich wie Filigran.

Zart und zerbrechlich, wie nun von droben
die Gloriette herniedergrüßt.
Fürstlicher Traum, in den Himmel gehoben,
lass mit den Augen des Knaben dich loben,
dem du ein Wunder gewesen bist.

Drüben im Kammergarten hantieren
Gärtner mit Leiter, Säge und Scher',
Knospen glänzen und Amseln probieren.
Hier ging vor Zeiten der Kaiser spazieren,
aber der Kaiser ist auch nicht mehr.

Kinder spielen mit Ball und Reifen
mütterbewacht in der stillen Allee.
Frühling wird, kann es das Herz nicht begreifen?
Marmorweiß stehen die Götter in weißen
Tuniken, zeitlos in Wonne und Weh.

Eden aus helleren Kindheitstagen,
immer noch da, und so namenlos fern !
Eben hat fein eine Glocke geschlagen -
Ach, auf dem blauen Matrosenkragen
prangten dem Knaben drei schneeweiße Stern ...


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Gang in den Frühling

Dies ist mir alles wie ein Traum,
der Primelweg, der Birkensaum
und der besonnte Hang.

Hier ging ich einmal schon, bevor
der Mensch das Paradies verlor -
wie lange schon, wie lang...

Wie ist das alles wunderbar!
Ich bin uralt, vieltausend Jahr,
und tue den ersten Gang,

und er führt mich an seiner Hand.
Und alles ist mir so verwandt
und von Erinnerung drang:

Die Lerche selbst ist wieder da,
die vormals schon ihr Gloria
in meinen Frieden sang.

Oh Traum aus dem ich einstens fiel,
hol mich zurück zum Glück, ans Ziel,
zu Gott, mir ist hier bang.

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