Josef Weinheber


(1892 - 1945)





I


    Dies sehn wir, Herrin, zeit- und leiderfahren:
    Dein Reich ist furchtbar, dir zu dienen hart.
    Du nimmst das Herz, du formst es, seiner Art
    den Schmerz in großen Bildern zu bewahren.

    Ja, Künstler sein, heißt seine Gegenwart
    in eine ungekannte Ferne sparen
    und lernen, daß von allem Wunderbaren
    nur eins ihm zukommt: Die Gefahr der Fahrt.

    Erhabne! Kein Erbarmen, keine Schonung!
    Freiheit erahnt sich erst an Gitterstäben,
    und erst zerstörtes Herz ist deine Wohnung.

    Die Schwachen stehn. Uns Stärkere wirft das Leben
    in einen Abgrund stündlicher Entthronung.
    Es ist ein dauernderes Dasein eben.

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II


    Es ist ein dauernderes Dasein eben,
    gezahlt mit Blut. Mit bittrer Niederlage
    der seltne Sieg, und der Triumph mit Klage;
    A n g s t macht uns stark, vom Staube
    aufzuschweben.

    Den Tag verhöhnt die Nacht mit ihrer Frage:
    Was bleibt? Was stirbt? Was reicht? Was fällt
    daneben?
    Und nur ein Narr sagt: Dies mein Werk und
    Weben sei ewig, wie es meinen Namen trage.

    Was sind denn Namen? Schall. Und wenn sie alle
    vergingen: Leben nicht die großen Werke
    ihr eigen Leben über unserm Leben?

    Durch uns hindurch wirkt Gott in dem Krystalle,
    und alle Ehr sei, aller Ehrfurcht Stärke,
    dem Bildwerk v o r dem Bildenden gegeben!

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III


      Dem Bildwerk v o r dem Bildenden gegeben
      ward eine Würde aus der andern Welt.
      Der Künstler doch, in d i e s e hier gestellt,
      muß immer wieder ihre Schmach erleben.

      Was flach ist, bricht in sein Bereich, ihn prellt
      zuletzt das Nichts, mit seinem frechen Streben,
      Gott gleich zu sein. Zuchtlose Hände heben
      die Wände ab von seinem Dunkelzelt.

      Ihn rettet nur, verzweifelt auszubrechen,
      in seine Nacht zurück: mit Stolz und Trauer
      zu heilen sich vom Zugriff der Barbaren -

      allein zu sein, wenn sie ihn schuldig sprechen:
      Mann mit dem Dolch und kalter Weltbeschauer,
      der hingehn muß, in seinen weißen Haaren ...

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IV


      Der hingehn muß in seinen weißen Haaren,
      von deinem Dienste, Herrin, aufgezehrt,
      sieht spät: Nicht Raub der ewig Anfechtbaren,
      sein e i g n e r Überfluß hat ihn zerstört.

      O Glück, o Jammer! Zwischen Engelscharen
      und Teufelsspuk gemartert und betört!
      Zerrissne Brust, von Genien und Mahren
      benutzt zum Schlachtfeld, wild und unerhört:

      In Schreien letzter Lust und stumm vor Qualen,
      begierig nach dem reinen Gotteston,
      trieb er sich selbst, sein Gut und Bös zu Paaren.

      Und a l s o schwand sein Herz. Zu hundert Malen
      entzweit: versöhnt in jenem Sieg, davon
      der Schöpfer stirbt. Geschaffnes kommt zu Jahren.

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V


      Der Schöpfer stirbt ... Geschaffnes kommt zu Jahren
      und löst sich ab vom Tag, dem es entstiegen.
      Und anders als die ruhmreichen Fanfaren
      geschlagner Schlachten wird d i e s Gleichnis siegen.

      Das Dunkel Pindars, die erhaben klaren
      Gebärden Dantes, Platons Tiefe: wiegen
      sie nicht die Zeiten auf, die ihre waren,
      und reden uns, wenn selbst die Steine schwiegen?

      Altar den Späten, heilig fern und hoh,
      wie mir der Schmerz des Michelangelo,
      dem er die Herbheit seines Worts gegeben.

      Und da ich es, das bittere, abermal
      erfülle, stark von meiner eignen Qual,
      so siegt die Kunst - so unterliegt das Leben.

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VI


      So siegt die Kunst, so unterliegt das Leben:
      Der tiefen Angst, daß dieser Leib verweht,
      wehrt, Auferstehung hoffend, nur Gebet.
      Doch a l l e sterben, die am Diesseits kleben.

      Daß aber Gott der Geist nicht untergeht,
      ist uns das Sinnbild der Gestalt gegeben.
      Dies Zeichen schauend, dürfen wir erbeben
      und heilig ahnen: Er, der Traum, besteht.

      Nicht ewiges Leben (das des Leibes wäre)
      verbürgt die Kunst. Ihr ist gesetzt, die Flamme
      des Leids in die Unsterblichkeit zu heben.

      Da ich mir h i e r nichts Gültiges begehre,
      bin ich, zu dauern d o r t, woher ich stamme,
      mit ganzer Seele meinem Werk ergeben.

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VII


      Mit ganzer Seele meinem Werk ergeben,
      kein Zufall fängt mich mehr in lockrer Schlinge.
      Du strenge Bahn, mit Wort der ewigen Dinge
      befiehlst du mir - Und kurz ist dieses Leben.

      Gottebenbürtige Stirne du, durchdringe
      mir diese Nacht! Werkhände ihr, im Streben
      erprobt, dem Ungewillten Form zu geben,
      jetzt bleibt mir treu, daß ich die Welt bezwinge!

      Ich preise euch, vom Schöpferdrang besessen,
      als Werkzeug mein, wie ich mich Werkzeug sehe
      in Händen jenes Unenträtselbaren.

      Wer bin ich? - Ich? - Dies habe ich vergessen.
      Weckt mich, Gewalten, daß - o Sturz und Wehe -
      ich weiß, wie Zeit und Tod mit mir verfahren.

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VIII


      Ich weiß, wie Zeit und Tod mit mir verfahren.
      Verlassen war ich, jetzt bin ich verkannt.
      In trägen, lahmen, lauen Kommentaren
      zerbröseln sie den Sturm, den Kampf, den Brand.

      Erschütternd kann ein Volk sich offenbaren,
      das seinem Schicksal letzte Worte fand.
      Ich wollte meinem Land die Sprache wahren
      und bin ein düstrer Niemand diesem Land.

      Nicht ich ging fort, ich wurde fortgestoßen.
      Nicht Trotz mehr, G r a m ist meine Einsamkeit.
      Und bin ich schuldig, bin ich es im Leiden.

      Ich sterbe an der Zeit! An meinem großen
      Zugrundegehn hinwieder stirbt die Zeit.
      Doch könnt ich E w i g k e i t verleihn uns
      b e i d e n !

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IX


      Doch könnt ich Ewigkeit verleihn uns beiden:
      Mir und dem Volke, dem ich mich verdanke.
      Wer darf den Früchtetrieb vom Baume schneiden
      wie krankes Blattwerk oder dürre Ranke?

      Nie werd ich Kind die Näh der Mutter meiden,
      ob auch die Mutter mich zu lieben schwanke.
      Leicht wie im Traum gelingts, mich zu entscheiden,
      denn zwischen ihr und mir ist keine Schranke.

      Ich, Künstler, beuge mich dem weitern Kreise:
      All, was mir wurde, Gnade, Maß und Kraft,
      es wurde mir im vorbestimmten Gleise.

      D e i n Antlitz, Volk, dies immer wieder m e i n e,
      formt ich nach deiner Macht und Leidenschaft;
      fügt ich nach deinem Wink. In Farb ...
      im Steine ...

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X


      Fügt ich nach deinem Wink, in Farb, im Steine,
      in Wort und Tönen heilig die Gestalt,
      so war der Rausch mein Lohn und Licht. Die Eine
      benommne Stille machte mich bezahlt.

      Was bliebe sonst mein Mühen? Nacht und kleine
      Hinüberschau in Fremde mannigfalt.
      Und noch die letzte Liebe wäre keine.
      Das kleinste Du erwiese mir Gewalt.

      Dort aber, im Geheimnis, bin ich Alle,
      und in den Tausenden vertausendfacht,
      erst ganz bei mir, im Guten wie im Bösen;

      und gebe, ob ich schwebe oder falle,
      traumwandelnd sicher in der g r ö ß e r n Nacht
      ein Bild von uns, getreu und formerlesen.

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XI


      Ein Bild von uns, getreu und formerlesen,
      ist mehr als Spiegel, sich darin zu deuten.
      Es ist das W o r t, das wir zu sagen scheuten:
      Im Kreis die Mitte, in der Flucht das Wesen.

      Stein! Starrer Stein! Durch Mächte nicht noch
      Thesen
      erschütterbar; beredt und stumm den Zeiten.
      Nach ihrer Art, ein Ding mit zweien Seiten:
      daran zu kranken oder zu genesen.

      Beruhend in sich selbst, gelöst vom Leiden,
      entrückt der Schuld, nicht mehr erreicht vom Spotte:
      So steht es da. So bleib es aufgerichtet!

      Stein! Starrer Stein! Dem Einen Sinn verpflichtet:
      Von ihm in uns, dem ewig gleichen Gotte
      zu zeugen. Tausend Jahr nach unserm Scheiden.

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XII


      Zu zeugen tausend Jahr nach unserm Scheiden,
      gib, Herrin, dem gefährdeten Gedicht
      bei jenen Guten in der Zeit Gewicht,
      die mir des Lorbeers dunkle Last nicht neiden.

      Den Rauch des Ruhms, ihn will ich gerne meiden.
      Doch die B e w a h r e n d e n entzieh mir nicht!
      Damit der Nachfahr, wenn der Blick mir bricht,
      berufen sei, mein Ewiges zu beeiden.

      Wer spricht von Ruhm? Und was ist seine Gunst,
      wenn er den Starken flieht, den Schwächling
      krönt - entgottend Gott, vergötzend das Gemeine?

      Ihn nicht! Gib mir die D e m u t, hohe Kunst,
      daß meine Seele sich daran gewöhnt,
      wie deine Züge schön, wie elend meine.

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XIII


      Wie deine Züge schön! Wie elend meine!
      ich finstre Erde, und du Flamme ganz!
      Mein war die Träne um die Gräbersteine,
      dein ist der Freudentag mit Rausch und Tanz.

      Mein war die Sünde, dein die Herzensreine.
      Mein war die Schande, dein ist Ruhm und Kranz.
      Mein war die Schlackenglut mit irrem Scheine,
      dein ist der adelig vollkommne Glanz.

      Nur meine brennende und bittre Liebe
      ist schön wie du. Mag e i n m a l noch an ihr
      die Menschennacht hinan zur Kunst genesen!

      Wenn sie ermißt in ihrer Leidenstrübe,
      w a s du gewärtest, da ich mit dir rang,
      und wie dich lieben mir Gesetz gewesen.

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XIV


      Und wie dich lieben mir Gesetz gewesen,
      warst du Gesetz. Und im Gesetz sein heißt
      ermächtigt sein, den Fesselgurt zu lösen
      des Schicksals, das uns an die Erde schweißt.

      Freiheit ist innen, Freiheit ist im Geist!
      Am nächsten aber steht dem Götterwesen,
      wer sich gebändigt hat. Kein Frevel reißt
      ihn aus dem Ring, in den er sich erlesen.

      Und eine große Heimat wird ihm dort,
      wenn ihn kein Ort mehr nimmt, kein Vaterwort
      mehr bindet an das Haus, an Herd und Laren.

      Der Tod ist stark. Und beugt sich doch zuletzt.
      Denn auch dem Tod ist sein Gesetz gesetzt.
      Dies sehn wir, Herrin, zeit- und leiderfahren.

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